Essen verbindet Menschen und Kulturen

Nirgendwo kommt der transkulturelle Ansatz so deutlich zum Vorschein wie bei der Esskultur. Heute gilt es als hohe Kochkunst, verschiedene kulturelle kulinarische Einflüsse gekonnt miteinander zu kombinieren.
Esskultur verbindet Menschen weltweit

Nirgendwo kommt der transkulturelle Ansatz so deutlich zum Vorschein wie bei der Esskultur. Heute gilt es als hohe Kochkunst, verschiedene kulturelle kulinarische Einflüsse gekonnt miteinander zu kombinieren. Das Überlagern von Zutaten und Zubereitungspraktiken aus unterschiedlichen „nationalen Küchen“ führt zu neuen, dynamischen Praktiken in der Esskultur. 

Nachstehend möchte ich drei Webartikel zitieren, die das Thema „Esskulturen“ auf informative und unterhaltsame Weise beleuchten. Und zum Ende dieses Blog-Beitrags verrate ich Euch mein Lieblingsgericht…

Esskultur verbindet – ein Projekt mit geflüchteten Jugendlichen (Bundeszentrum für Ernährung)

„Essen ist in allen Kulturen die erste „Sprache“, mit der Kleinkinder die Welt kennenlernen. Damit erfahren sie, was in ihrer Familie und ihrer Kultur auf den Tisch kommt und welche Werte wichtig sind. Essen bietet die Möglichkeit, miteinander Zeit zu verbringen und zu einer Gruppe zusammenzuwachsen. So ist Esskultur auch ein wichtiger Teil unserer Identität und unseres Gefühls für Heimat und Gruppenzugehörigkeit.

Da verwundert es nicht, dass die gemeinsame Mahlzeit in allen bekannten Kulturen gelebt wird und wichtig ist. Es gibt zahllose Beispiele in der Geschichte, in der sie eine zentrale gesellschaftliche Bedeutung hat, vom letzten Abendmahl bis hin zu den Rittern der Tafelrunde.

Zugleich beeinflussen sich verschiedene Esskulturen gegenseitig – früher als „fremde“ oder exotisch geltende Speisen sind heute fester Bestandteil unseres Speiseplans. Neugierde und Interesse an Neuem kann die Scheu vor dem Unbekannten überwinden. Das lässt sich auch gut nutzen, um miteinander ins Gespräch zu kommen und einander besser kennenzulernen.“ 

Der Döner bleibt deutsch (Artikel aus der taz)

„Ein türkischer Verein will den Döner als EU-Kulturgut anerkennen lassen. Allerdings ignoriert er die transkulturelle Entstehungsgeschichte.

Der Antrag der Internationalen Döner-Föderation (Udofed) bei der EU ist ein Generalangriff auf das Lieblingsgericht der Deutschen. Ein Angriff auf die kulturelle Identität dieses Landes.

Die Udofed mit Sitz in Istanbul will den Döner von der EU als „traditionelle Spezialität“ schützen lassen. Mit genauen Vorschriften, welches Fleisch verwendet werden darf (kein Kalbfleisch!), wie dick die Fleischscheiben geschnitten werden dürfen (0,2 bis 0,5 Millimeter), wie viel Gramm Zwiebeln, Salz, Pfeffer, Thymian in einem Döner sein dürfen und wie lang das Dönermesser aus „speziellem Edelstahl“ sein muss – 55 Zentimeter.

Dieser Antrag ist der Versuch, die Dönerwelt, die seit Jahrzehnten von deutsch-türkischen Dönerproduzenten entwickelt, gestaltet und vermessen wird, neu zu ordnen: autoritär, durch Normsetzungen aus der Türkei von oben, mit nationalistischen Reinheitsvorstellungen und Besitzanspruch.

Das alles ist nicht verwunderlich, denn die Istanbuler Vereinigung wurde 2019 von Mehmet Mercan gegründet, dem ehemaligen Istanbuler Vorsitzenden der Partei der großen Einheit (BBP) – eine rechtsextreme islamistisch-natio­nalistische Partei. Der BBP wird unter anderem vorgeworfen, an dem Mordkomplett gegen den armenischstämmigen Publizisten Hrant Dink beteiligt gewesen zu sein. Zwar ist ­Mecan 2023 gestorben, doch er hat die Ini­tia­tive zu dem Antrag an die EU 2022 auf den Weg gebracht.

Der Antrag der Internationalen Döner-Föderation ignoriert, dass der Döner Kebap keine Erfindung der Türkei ist, sondern ein Produkt des Osmanischen Reiches, in dem Türken, Griechen, Albaner, Juden, Armenier, Kurden und Araber sich gegenseitig in die Töpfe guckten und voneinander klauten und lernten. Das Ergebnis ist die Dreifaltigkeit: Döner-Gyros-Schawarma.

Als türkische Gastarbeiter den Döner Kebap nach Deutschland brachten, führten sie die transkulturelle Toleranz weiter. Sie griffen etwas auf, was sie aus der Türkei kannten, und erschufen etwas völlig Neues – den German Döner! Der German Döner, wie wir ihn heute kennen.

Man muss das nicht mögen, man mag ihn in besserer Qualität wollen, aber eines ist sicher: Der German Döner ist ein demokratisches Produkt. An seiner derzeitigen Form haben Millionen von Menschen in einem partizipativen Prozess mitgewirkt. Der German Döner ist genau so, wie ihn die Menschen wollen. Deshalb ist er Pop, deshalb hat er weltweiten Erfolg, deshalb ist er Exportschlager aus Deutschland und nicht aus der Türkei. Nicht die Dönerproduzenten in der Türkei, sondern die Deutschtürken entwickelten hochkomplexe Produktionsanlagen und -verfahren für Dönerspieße, mit denen sie ganz Europa, Dubai, die USA und Kanada beliefern.

Interessanterweise haben die Initiatoren des Antrags sich im Vorfeld nicht an die Dönerproduzenten in Deutschland gewandt, um sich mit ihnen abzustimmen. Der bereits 1996 in Berlin gegründete Verein türkischer Dönerhersteller in Europa lehnt den Istanbuler Antrag ab.

Übrigens gibt es schon lange so etwas wie ein Reinheitsgebot für den Döner Kebap in Deutschland, das Mindeststandards festlegt, was in einem Döner enthalten sein darf. Die „Berliner Verkehrsauffassung für das Fleischerzeugnis Döner Kebap“ wurde 1989 für Berlin verabschiedet und gilt seit 1991 theoretisch bundesweit. Der Instanbuler Antrag kommt also schlicht zu spät.“ 

Warum wir essen, wie (und was) wir essen (Researchgate)

„Eine interkulturell orientierte nachhaltige Ernährungsbildung bietet vielfältige Möglichkeiten für den Erwerb von Kompetenzen. Darüber hinaus eröffnet sie die Chance, statische Kulturkonzepte zu überwinden. Das Lernfeld Ernährung kann dabei die Funktion eines Türöffners einnehmen. 

Im Essen drückt sich der Mensch aus, schafft sich Kultur und setzt sich ins Verhältnis zur Welt. Der Mensch muss essen, um zu leben. Wie er dies tut, unterscheidet sich jedoch mitunter deutlich. Daran wird erkennbar: Essen ist mehr als Nährstoffaufnahme; was und wie wir essen, ist Ausdruck von Identität. Mit der Art und Weise, wie wir Esskultur praktizieren, sind vielfältige Folgen verbunden: auf die Umwelt, auf unsere Gesundheit und die anderer, auf den Erhalt und Verfall traditionellen Wissens und gewachsener Versorgungsstrukturen.

Esskultur als Lernfeld Menschen essen – bewusst oder unbewusst – nach kulturellen Mustern. Essen ist zugleich eine natürliche und eine kulturelle Angelegenheit. Ess-Kultur umfasst prinzipiell jede Ernährungsweise. Ein solches Kulturverständnis entspricht einem modernen 

Verständnis von Kultur als Summe aller materiellen und immateriellen Errungenschaften. 

Wie Menschen Essen kulturell ausgestalten, regulieren und reglementieren, wird von drei 

Faktoren geprägt:

■ kulturelle Bestimmung von essbar und nicht essbar (religiöse Verbote, kulturelle Tabus, soziale Angemessenheit)

■ Küche als kulturelles Regelwerk der Speisenzubereitung (aus gleichen Zutaten entstehen unterschiedliche Gerichte)

■ Mahlzeit als soziale Situation (Gemeinschaftsbildung, soziale Unterscheidbarkeit)

Individuelle Vorlieben sind innerhalb dieser Bahnen akzeptiert. Hierdurch ergeben sich aber auch innerhalb einer Gesellschaft verschiedene Auslegungen der Regeln, die sowohl Abbild ethnischer bzw. regionaler Eigenarten als auch Ausdruck sozialer Unterschiede sind. „Ess-Kultur“ wird zum „sozialen Total-Phänomen“, in dem sich die gesamte Gesellschaft ‚in klein’ widerspiegelt.

Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Esskulturen wird damit ein Fall interkulturellen Lernens. In der pädagogischen Diskussion werfen Kritiker dem Begriff vor, dass er von abgeschlossenen Kulturen ausgehe. Wenngleich sich interkulturelle Pädagogik um Verständigung bemühe, würde sie dennoch an einem statischen Kulturkonzept festhalten, das dynamische Übergänge zwischen und die Konstruiertheit von Kulturen vernachlässige. Aus dieser Kritik ist der Begriff des transkulturellen Lernens entstanden, der Differenzen zwischen und innerhalb von Gesellschaften beschreibt. “

PERSPEKTIVWECHSEL!

Hast Du eine Vorliebe für eine bestimmte Esskultur? Was verbindest Du mit diesem Essen? Hast Du auch mal eine Esskultur kennengerlernt, die Du überhaupt nicht mochtest? Was schmeckte Dir daran nicht? Welche Aspekte könnten – Deiner Meinung nach – unterschiedliche Esskulturen beeinflussen?

Eines meiner Lieblingsgerichte ist übrigens Shakshuka mit viel frischem Koriander. Man kann Shakshuka auf vielseitige Weise zubereiten: in der veganen Version oder mit Ei überbacken. Es schmeckt auch zu Lammfleisch, mit Reis oder Pita-Brot. Und wie bei allen guten Resteessen, ist der Geschmack am nächsten Tag noch intensiver…

Guten Appetit!

Eure

Martina

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