„Fast neun Jahre lang habe ich als Assistentin des ersten afrikanischen Vorstandsvorsitzenden der internationalen Vereinten Evangelischen Mission gearbeitet, die bis 1996 ihre historischen Wurzeln in einem traditionellen deutschen Missionswerk hatte. Die Rede ist von dem tansanischen Theologen Fidon Mwomeki, der heute Generalsekretär der ‚All Africa Conference of Churches‘ ist.
Fidon Mwombeki war damals der erste Generalsekretär aus dem Globalen Süden, der im Jahr 2006 die Leitung der Missionsverwaltung in Deutschland übernahm. Diese neue Realität wurde nicht von allen weißen deutschen Akteuren im kirchlichen Umfeld mit der notwendigen Akzeptanz aufgenommen. So fragte mich beispielsweise gleich zu Beginn ein weißer deutscher Theologe, wie ich denn mit dem “afrikanischen Häuptling“ so zurechtkäme? Diese Frage irritierte mich und ich wusste keine Antwort darauf zu geben. Bislang hatte mich niemand nach meiner Erfahrung mit seinem Vorgänger befragt, der aus Norddeutschland stammte. Nun war ich jedoch in einer deutschen kirchlichen Verwaltung tätig, die erstmals von einem afrikanischen Theologen geleitet wurde und jetzt arbeitete ich plötzlich für einen “afrikanischen Häuptling“, mit dem ich „zurechtkommen“ musste.
Wenn ich „Häuptlingsverhalten“ in den mehr als drei Jahrzehnten meiner gesamten internationalen Berufstätigkeit erlebt habe, dann ausschließlich von weißen deutschen männlichen Vorgesetzten und Kollegen. Diese Erlebnisse waren glücklicherweise unrühmliche Ausnahmen, aber selbst diese sind mir in der Zusammenarbeit mit Vorgesetzten und Kollegen aus dem Globalen Süden in der Weise nie begegnet. Die Häuptlingsfrage des weißen Theologen aus Deutschland sagte also mehr über ihn selbst aus als über meinen neuen afrikanischen Chef. Es war auch offensichtlich, dass Mwombekis Kommunikation in der für ihn zunächst fremden Sprache nicht von allen Personen in seinem beruflichen Umfeld wohlwollend aufgenommen wurde. Einige machten sich über seine Aussprachefehler lustig, zum Beispiel bei den Begriffen „Lesung, Lösung, Losung“. Verwechslungen wurden mit Gelächter kommentiert und seine Fehler wurden ihm nachgehalten. Dass Mwombeki neben Deutsch noch mehrere andere Sprachen beherrschte, war in diesem Moment nicht von Belang.
Im Kontext der internationalen Entwicklungszusammenarbeit werden Menschen aus dem Globalen Süden aus weißer deutscher Sicht meist als hilfsbedürftig und abhängig wahrgenommen. Und wenn sie akademische Qualifikationen und Kompetenzen aufweisen können, dann werden diese häufig nicht als gleichwertig betrachtet. Gerne wird dazu auf hohe deutsche Qualitätsstandards verwiesen, mit denen sich weiße Deutsche selbst erhöhen. Auffällig war, dass während Mwombekis gesamter Amtszeit Fragen nach seiner Führungskompetenz gestellt wurden, die weißen Führungskräften üblicherweise nicht gestellt werden. Seine Entscheidungen wurden unter einer Lupe beobachtet, die vor allem Fehler vergrößern sollte. Weder sein weißer Vorgängernoch sein weißer Nachfolger wurden auf diese Weise bewertet. An dieser feindseligen Begutachtung änderte auch die Tatsache nichts, dass Fidon Mwombeki als promovierter Theologe zusätzlich über einen MBA-Abschluss einer amerikanischen Universität verfügte und besonders qualifiziert war. Die Besetzung der Leitung mit einer Person afrikanischer Herkunft war für Leute mit paternalistischen und rassistischen Einstellungen schlichtweg schwer zu ertragen und die hierarchische Unterordnung unter einen afrikanischen Vorgesetzten war für sie eine kaum zu ertragende Zumutung.
Heute sorgen ein Kodex gegen Diskriminierung und Rassismus sowie eine Sensibilisierung für rassistische Denk- und Verhaltensmuster dafür, dass solche Verhaltensweisen als rassistische Diskriminierung erkannt und entsprechend geahndet werden. Ideal wäre noch ein begleitendes Unterstützungssystem, das den von Rassismus Betroffenen psychologische Hilfe anbietet. Denn sowohl offener Rassismus als auch ständige Mikroaggressionen und Abwertungen können sich schädlich auf die Psyche der Betroffenen auswirken.
Fidon Mwombeki war auch Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und damit bis heute der erste und einzige Afrikaner und Theologe aus dem Globalen Süden, der in dieses Leitungsgremium gewählt wurde. Dennoch wurde er damals von der kirchlichen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Die weiße homogene EKD konnte mit einem afrikanischen Theologen in ihren Reihen offensichtlich nicht besonders viel anfangen, denn seine Expertise und theologischen Ansichten waren kaum gefragt. Vielleicht fehlt in Deutschland die Erfahrung, von Menschen aus Afrika zu lernen. Bis heute gibt es in den Leitungsgremien der Landeskirchen und der EKD keinen vergleichbaren Theologen, der den Globalen Süden und den deutschen Protestantismus mit seiner Person verbindet.“
Soweit der Auszug aus meinem Buch „Kirche multikulturell – Perspektiven und Impulse aus dem transkulturellen Coaching.
An dieser Stelle werden künftig immer mal wieder einzelne Themen aus dem Buch veröffentlicht. Gerne könnt Ihr das Buch aber auch am Stück käuflich erwerben.
Es grüßt Euch herzlich
Martina